Schon seit ca. 3 Jahren sprachen ein Freund und ich davon, mal "auf die Insel" zu fahren; gemeint war natürlich jenes Felseneiland in der Deutschen Bucht, das man Helgoland nennt. Und natürlich sollte diese Unternehmung im Kajak angegangen werden, wir wollten ja nichts geschenkt bekommen.
Nachdem wir einige wenige male eine konkretere Planung aufgenommen hatten, und auch mal losgefahren waren, aber wegen zuviel Wind scheiterten, kam mir nun die von Heinz Zölzer ausgeschriebene "Long Distance Fahrt" nach dem Felsenatoll gerade recht, endlich der Theorie die Praxis folgen zu lassen.
So packten am Abend des 25.08.00 drei dunkle Gestalten ihre Utensilien in und die Kajaks auf den Zölzer-Bus. Los ging`s am nächsten morgen, einem Samstag.
Da wir die Überfahrt unorthodoxer Weise von Spiekeroog aus angehen wollten, war unser Anlaufhafen Neuharlingersiel. Dort angekommen wurde mir die zweifelhafte Ehre zuteil, für unser fabrikneues GPS der Firma Magellan verantwortlich zu sein. Komisch, das doofe Ding bekam nur Kontakt zu einem Sateliten. "Das wird noch," dachte ich mir. "Du bist zwar hier in ebenem Land, aber wahrscheinlich geht es nachher auf der See besser, die anderen Geräte der Sportschiffahrt funktionieren ja auch."
Also machte ich mir wenig Kopfzerbrechen um diese Sache, Spiekeroog war ja gut zu sehen, so daß die derzeitige Position keine Frage war. Also erstmal nach Spiekeroog.
Am Abend des Samstags traf dann noch unser 4. Mann, der Kölner Jochen, ein. Für den nächsten Tag war ein Probetörn nach Baltrum und zurück angesetzt, um schon mal 50 km zu paddeln, etwa die Distanz, die es auch von Spiekeroog bis Helgoland ist.
Diesen Probetörn absolvierten wir 4 ohne Probleme und trafen auf der Rückfahrt unseren 5. Mann, den Hamburger Kaufmann Sven (Siml) Grimpe. Somit waren wir komplett: Heinz Zölzer, Helmut Gratz, Jochen Andre, Siml und ich, Ulf (Sieli) Sielaff. Beim abendlichen Zusammensein wurde, aufgrund der Wetterlage, der Sprung nach der Insel für den nächsten Tag, Montag den 28.08.00, Abfahrt 10.00 Uhr mitteleuropäischer Sommerzeit angesetzt.
Heute ist also der große Tag - und ich ganz klein: Jetzt sitze ich hier, das be..... GPS sagt gar nichts mehr und die Firma Ferropilot, bei der ich eben angerufen habe, auch nicht viel mehr. Toll. So müssen wir eben ohne GPS, wie unsere Vorfahren, die Felseninsel in der Weite der Nordsee finden.
Es ist 10.20 und wir setzten uns in die Boote. Die ersten Paddelschläge, ja, mir geht es gut. Unser Kurs soll 20 Grad sein. Also erstmal von der Insel freikommen und dann den Kurs aufnehmen. Schon merkwürdig: Kein Land mehr aus den Augenwinkeln zu sehen, aber hinter mir ist ja gleich Spiekeroog. Der Kurs 20 Grad liegt an. Da vorne, da ist doch eine Tonne. - Ja. - Es ist die Tonne, die wir zuerst bekommen sollten. Aber der Kurs ist nicht ganz richtig, denn sie tauchte woanders auf, als sie sollte. Also den Kurs von 20 auf 0 Grad korrigieren.
Das Wasser ist jetzt kristallklar, nicht mehr die grau-braune Brühe wie bei den-Inseln im Watt.
Wo ist eigentlich Spiekeroog geblieben? Jetzt, nach knapp 2 Stunden ist nirgendwo mehr Land. - Da, die 2. Tonne, genau da, wo sie sein sollte. Also ist jetzt ein Drittel der Strecke geschafft. Ein Drittel und wir sind über zweieinhalb Stunden unterwegs. Na toll.
Die Wellen sind seit dem Start deutlich höher geworden, stellen aber kein wirkliches Problem dar. Meine einzige Besorgnis ist, daß mir einer der Kameraden zu nahe kommt und dann von einer Welle versetzt wird und in mein Boot kracht. Das wäre ein klassischer Seenotfall.
Weiter geht`s.
Wo wohl die Felseninsel auftaucht? Wir steuern jetzt wieder 10 Grad und sind seit 5 Stunden in See. Da, da ist doch was. Nein, das kann nicht sein. Siml und Jochen winken wild; ich fahre hin. "Da. Da ist ein Viereck über dem Wasser zu sehen." Ja, aber das ist doch die völlig falsche Richtung. Heinz hatte mich vorgewarnt; so etwa nach 6 Stunden würden die ersten Halluzinationen in der Gruppe auftreten. Er hatte fast recht, denn sie treten schon nach 5 Stunden auf.. Also weiter. Jetzt müssen Siml und Jochen erkennen, daß ihr Viereck über dem Wasser ein schwebender Hubschrauber war, denn gerade jetzt fliegt das Viereck weg. Soviel zu den Halluzinationen. Aber da.? Was ist das. In 30 Grad. Jetzt hat auch Sven da was gesehen. Auch Helmut sieht da was und schaut durch`s Fernglas. Ja, das ist HELGOLAND. Die doch etwas nervöse Stimmung schlägt sofort in Euphorie um: Wir haben das Eiland ohne GPS gefunden, und fast da, wo es auftauchen sollte. Fast 6 Stunden gepaddelt. Aber es ist doch noch verdammt weit weg. Also weiter paddeln.
Jetzt sind wir der Hauptinsel schon recht nahe, aber im Westen steht eine dunkle Wolkenbank, die nichts Gutes verheißt.
Noch ca. 1-2 Kilometer bis zum Hafen. Jetzt erwischt uns die Wand doch und es bläst kräftig. Sofort werden auch die Wellen unangenehmer. Vorbei am Hafen, wir wollen zur Düne. Da bei dem Leuchtturm, da sieht man schon das Dach vom Restaurant. Hurra, Verköstigung winkt.
Nach 8 Stunden auf der offenen See stehen wir endlich auf der Düne von Helgoland. Ein einfach nicht zu beschreibendes gutes Gefühl. Danke an Heinz, der die Situation immer im Griff hatte. Und kurz bei Muttern angerufen, daß sie sich keine Sorgen machen muß.
So, jetzt schnell umziehen, ein Dach über dem Kopf und schon sind Siml und ich auf dem Weg, um erstmal den Salzgeschmack im Mund mit einem kühlen Blonden zu vertreiben. Auch Jochen schließt sich uns an.
Die nächsten 2 Tage vergehen wie im Fluge mit diversen Erkundungen und Bummeln auf der Düne und der Hauptinsel.
Die Wetterlage zeigt sich wohl am Donnerstag am günstigsten. Das hatten wir aber schon am Dienstag von unserer "Bodenstation" in Ahrensburg erfahren, die uns nicht nur mit meteorologischen Daten versorgte, sondern auch auf der Karte von Anbeginn der Fahrt unsere Position verfolgte.
Also geht`s am Donnerstag um 8.00 Uhr in die Boote. Die Nacht über hat ein ordentlicher Nord-West geblasen, jetzt ist es etwas ruhiger, aber Heinz zeigt nur nach vorn: "Sieh dir mal die Kimm an. Wie unruhig die ist. Da draußen stehen ganz ordentliche Wellen". Er hat wieder recht. Nach einer Stunde sind wir mitten in einer Altdühnung, wo von schräg hinten so manche Wasserwand, anders kann man die Dinger nicht nennen, auf uns zurollt. Helmut staunt über so manchen "Koffer". Wir sind uns einig: Wenn jetzt der Wind aufbriest, stecken wir mitten drin im Schlamassel. Wellen dieser Größe werden dann anfangen zu brechen. Keiner von uns möchte sich das entstehende Inferno für uns weiter ausmalen. Das würde Seenot bedeuten! - Heinz, hast du uns eigentlich, wie bei der Hinfahrt, bei der DGzRS angemeldet? Nein!? Und wenn was passiert? Kein Problem, wenn wir uns nicht bis abends bei unserer Bodenkontrollstation in Ahrensburg gemeldet haben, wird die renitent.
Aber es bleibt ruhig, und dann kommt auch eine Tonne in Sicht. Wir sind etwas nach Osten abgedriftet, aber durch eine kleine Kurskorrektur stimmt die Richtung wieder.
Spiekeroog in Sicht. Aber vor dem Strand steht die Brandung. Die Wellen, die wir draußen hatten, krachen hier auf den Strand. Durch oder .....? Heinz will durch, mir ist es egal, aber zweien unserer Mitstreiter kräuseln sich die Nackenhaare, sie haben noch keine Erfahrung mit Brandung. Also was?Egal, ich habe mich entschieden und teile den anderen mit, daß ich den großen Umweg fahre und das Fahrwasser nutze, wo ich weniger heftige Wellen erwarte. Zumindest von zweien wird diese Entscheidung dankbar aufgenommen. Also das Fahrwasser suchen. Aber hier müssen wir natürlich gegen die heftige Ebbströmung anpaddeln. Jeder Meter muß erkämpft werden. Endlich sind wir im ruhigen Wasser, der Zeltplatz kommt in Sicht.
Nach fast 11 Stunden haben wir wieder festen Boden unter den Füßen.
So sind wir glücklich und gesund wieder gelandet. Noch schnell der Bodenkontrollstation in Ahrensburg unseren Wiedereintritt in den Orbit melden und die Welt ist wieder ok.
Zur Nachahmung empfohlen? Nur mit großer Vorsicht!!!! Man muß sehr sicher im Boot sitzen, am besten die Eskimorolle wirklich beherrschen, lange sitzen können, denn auf See gibt es keine Anlandemöglichkeit, und 11 Stunden Dauerpaddeln vertragen können. Die navigatorische Seite muß man durch Erfahrung sicher abdecken können und außerdem sollte man sich vorher darüber klar sein, daß da draußen nur Wasser um einen herum ist. Der psychologische Effekt ist nicht gering zu achten. Auch das Problem der Blase sollte im Vorwege geklärt sein. So erzählte auch einer unserer Gruppe im nachhinein, dass er 2x unterwegs gepinkelt hat - natürlich ins Boot, d.h. er hat`s "einfach laufen lassen". Nur um hier Nachfragen zuvorzukommen: Ich war`s nicht!
Und das Wetter muss stimmen.
Trotzdem bleibt es ein mir unvergessliches Erlebnis: Mit dem Kajak nach Helgoland - wir waren da.
Ulf Sielaff