In Seekajak Kreisen wurde schon des öfteren diskutiert, welchen Krempel man umsonst so mit sich rumgeschleppt hat, ohne es zu gebrauchen. Ich war noch nie ein Freund von überladenen Booten, die man erst im Wasser entladen muss, bevor sie an Land gehoben werden können. Natürlich kann das Fehlen von wichtiger Ausrüstung auch eine Fahrt zur Qual werden lassen.
Ich erinnere mich noch sehr gut an eine Fahrt von Norddeich nach Baltrum als ich am frühen Abend am Strand von Norderney hinter dem FKK-Strand auf meinem Biwaksack saß und auf das Einbrechen der Nacht wartete. Es war ein wunderschöner lauwarmer Tag gewesen und die Sonne war dabei, sich mit einem herrlichen Sonnenuntergang zu verabschieden. Ja, da habe ich mich doch etwas geärgert, dass ich mir nicht wenigstens ein Fläschchen Bier mitgenommen habe, oder etwas anderes zum Verwöhnen meines Gaumens. Das Bier hätte in diesem Moment auch lauwarm geschmeckt.
Zurück zu meiner etwas eigenwilligen Baltrumtour: Ich bin auf die Idee gekommen, wenn ich das Boot zuhause lasse, dann brauche ich auch den üblichen Paddelkrempel nicht. Das Zelt wird gegen einen Biwaksack getauscht, Kocher und Essen bleibt ebenfalls zuhause. Wenn Baltrum auch die kleinste Ostfrieseninsel ist, so muss man nicht darauf verhungern. Eigentlich wollte ich auch die „Blechkiste“ zuhause lassen, doch sollte die Hin- und Rückfahrt mit der Bahn 140 Euro kosten und je Fahrt ca. 8 Stunden mit 4 bis 5 mal umsteigen dauern. Die Bedingungen waren nicht nach meinem Geschmack.
Am Samstag ist das Wetter sommerlich und der Wetterbericht gibt für Sonntag gute Prognosen. Allerdings soll sich das sommerliche Wetter am Montag so langsam verabschieden. Schnell ist am Nachmittag Biwaksack, Schlafsack, Matte und Regenbekleidung im Rucksack verpackt und ab geht’s in Richtung Norden. Leider bin ich im Süden von Essen wohnhaft, da ist die Fahrt durch Essen immer das größte Problem. Doch dieses Mal gibt es keine wesentlichen Probleme. Um 17.00 Uhr bin ich wie geplant an Frieslands Großem Meer in meiner „Stammkneipe“ und kann noch das Strandleben bei einigen Bieren und einem knusprigen Fisch genießen. Bei einbrechender Dunkelheit fahre ich die paar hundert Meter zum Caravan Parkplatz und mach es mir für die Nacht im T5 gemütlich. Am anderen Morgen geht’s früh auf die Reise nach Nesmersiel. Dafür benötigt man knapp eine Stunde. Im Hafen haben sich an die 100 Menschen versammelt und das zur Ebbezeit. Da fährt doch keine Fähre. Um halb zehn kommt die Erklärung, als sie in 3 großen Gruppen am Parkplatz vorbei hinterm Hafenbecken in Richtung Watt marschieren. Die wollen tatsächlich alle durch die Matsche, hier auch Schlick genannt, nach Baltrum latschen. Ich gebe denen einen gehörigen Vorsprung und mach mich dann auch auf den Weg. Die Gruppen holen nicht so weit nach Osten aus, da sie zum Hafen laufen. Ich halte mich weiter östlich, da ich zum Zeltplatz will. Dort gibt es einen Pfad durch das Naturschutzgebiet vom Watt zum Zeltplatz. Die Wasserscheide ist mit Kugelbaken gekennzeichnet. In dessen Nähe kommt man am besten über die gekennzeichnete Fahrrinne, das weiß ich von Baltrum – Umrundungen mit dem Kajak. Wo ich nicht mit gerechnet habe, das ist eine Reihe von weiteren Prielen, die auf keiner Seekarte eingezeichnet sind. Bis auf eine sind aber alle nur mal gerade knietief. Ja, diese eine ist so tief, dass ich fast bis zum Popo nass werde. Um 12.00 Uhr habe ich am Pfad zum Zeltplatz wieder festen Grund unter meinen Füßen. Ich laufe in Richtung Dünen und hinter diesen in Richtung Ort und mach es mir um 13.00 Uhr in einem Strandkorb im Strandcafe bequem. Mit einem Kännchen Friesentee und mit einem Stück Kuchen genieße ich mein spätes Frühstück. Als ich von der Toilette zurück komme, hat sich im Nachbarkorb eine Lady nieder gelassen. Trotz Sonnenbrille ist sie mir mit einem kurzen Blick irgendwie unsympathisch. Sie bekommt am Kopf des Tisches vor ihrem Strandkorb ein Stück Kuchen serviert. Ich kann von meinem Strandkorb aus nur ihre abgemagerten Hände und Unterarme sehen, die sich nun mit dem Kuchen beschäftigen. Da macht sich mit kleinen Hüpfern vom anderen Ende des Tisches ein Spatz in Richtung Kuchen auf den Weg. Es ist richtig spannend, wie er sich langsam nähert. 50 cm, 40 cm, 30 cm, 20 cm, 10 cm, da schnellt eine Hand mit unglaublicher Geschwindigkeit nach vorn. Beinahe hätte sich das Spätzchen eine Ohrfeige eingehandelt. Kaum zu glauben wie eine so abgemagerte Hand so eine Energie freisetzen kann Die Abwehr war so eindeutig, dass sich der geschockte Spatz mitsamt seiner lauernden Gefolgschaft aus dem Staub machte, und ließ sich die nächste halbe Stunde nicht mehr sehen. Der Spatz war wohl der gewesen, der mir eine halbe Stunde vorher ein Stückchen Kuchen aus der Hand genascht hatte. Ja, im Spätsommer unter freien Himmel ein Stückchen Kuchen in aller Ruhe zu genießen ist nicht immer einfach. Nun hat es eine Wespe auf den Kuchen abgesehen. Die lässt sich nicht einfach mit einer Handbewegung verscheuchen. Nach der vierten Abwehr summt die Wespe immer noch um den Kuchen. Das reicht: die Kuchengabel knallt auf den Tisch, das obligatorische Täschchen unter´m Arm verlässt die Lady den Platz des Schreckens und hinterlässt die Hälfte des Kuchens, für den sich jetzt noch nicht mal die Möwen auf dem Dach interessieren, die das ganze Schauspiel auch verfolgt haben. Ich lasse es mir nicht nehmen und erhebe mich aus meinem gemütlichen Platz und schaue der Dame nach, wie sie sich mit erhobenem Haupt und stolzen Schritten entfernt. Sie erinnert mich an eine Ziege, die ich vor ein paar Tagen auf einer Weide geärgert hatte, als der meine Neckereien zu viel wurden, zeigte sie mir das Hinterteil und machte sich erhobenen Hauptes und stolzen Schritten davon.
Bevor ich mich am späten Nachmittag wieder auf den Weg zur Ostinsel mache, genehmige ich mir noch einen leckeren Matjessalat mit Äpfeln, Zwiebeln und Gurken. Da Fische bekanntlich dreimal schwimmen sollen und Matjes nur einmal geschwommen sind, habe ich das mit 2 Bier nachgeholt. Außerdem machen Matjes durstig und ich schleppe keine obligatorische Wasserflasche mit mir `rum.
In Sichtweite des Zeltplatzes hat die Inselverwaltung eine neue Unterkunftshütte für Inselwanderer errichten lassen, die habe ich mir für die Nacht ausgewählt. Sie hat idiotischer Weise nach Südwesten eine riesige Fensteröffnung. Was sich die Inselverwaltung dabei gedacht hat ist mir schleierhaft. Zum Glück ist die Nacht fast windstill, sonst hätte ich mich in einer Dünensenke bei den Kaninchen gemütlich machen müssen. Ich genieße die langsam hereinbrechende Nacht und beobachte in der Fensteröffnung gelehnt, wie sich einige Rohrweihen auf die Jagd machen. Der Taumelflug ist bemerkenswert. Hin und wieder gehen sie im Sturzflug runter und erhaschen wohl hin und wieder ein armes „Häschen“. Die Krähen, die wohl nicht zum Jagen eingerichtet sind machen sich dann an den Resten zu schaffen, lange halten sich die Weihen nicht am Boden auf. Dann ziehen die Karnickel um meine Hütte meine ganze Aufmerksamkeit auf sich. Den abgenagten Rasen vor der Hütte hatte ich schon am Tag bemerkt. Bis zu einem Dutzend Halbwüchsige kommen zum abendlichen Mal und Meeting. Zwei „Halbstarke“ zeigen wie toll sie sind und vollführen aus dem Stand Halbmeter Sätze. Zunächst dachte ich, dass sie ein Geräusch gehört, oder mich entdeckt hätten. Der Abstand zu den am nächsten betrug mal gerade 5 Meter. Aber dem war nicht so, sie fraßen genüsslich weiter nach ihren Kapriolen. Erst als ich mich mit meinen Schlafutensilien beschäftigte, waren sie alle verschwunden. Das Geraschel des Biwaksackes war einfach für diese Langohren zu laut und ungewohnt.
Am anderen Morgen bin ich wieder zeitig auf den Beinen und mache noch einen Spaziergang zum Strand. Dieses mal ohne Rucksack. Den verstecke ich hinter den reichlich vorhandenen Büschen. Um 10 Uhr bin ich wieder am Zeltplatz und begebe mich auf den Rückmarsch. Diesmal aber mit Teva-Sandalen. Hin bin ich mit nackten Füßen gelaufen, das gibt viele kleine Wunden, die des Nachts anfangen zu brennen. Nach 2 Stunden bin ich wieder im Hafen. In einem Priel kann ich mir die Füße und die Sandalen einigermaßen sauber machen. Doch für eine gründliche Reinigung fahre ich kurz zum Großen Meer. Aus den Klettbändern der Sandalen ist der Dreck aber nicht rauszukriegen, die Sandalen kommen mit in die Waschmaschine. Wie gestern sitze ich um 13.00 Uhr wieder pünktlich bei Kaffee und Kuchen bei Lidl an der Autoauffahrt in Norden. Seltsamerweise verspürte ich weder gestern noch heute Durst oder Hunger bis zum Mittag. Der Rest ist wie immer ein Absitzen auf der A31 in Richtung Ruhrgebiet. Brustbeutel mit Führerschein, Ausweis und Kreditkarte, Regenbekleidung, Kompass und Pflaster habe ich mal wieder umsonst mit mir rumgeschleppt.