Schon lange hatte ich davon geträumt einmal auf unserem Heimatteich, dem Baldeneysee, auf dem wir uns im Sommer mit Kajaks und Canadier fit halten, im Winter bei Eis und Schnee darauf zu zelten. Die milden Winter in den letzten Jahren haben diesen Vorsatz immer wieder vereitelt.
m Winter 95/96 war es dann endlich so weit: langanhaltender Frost und eine ca. 4 cm Schneedecke hatte eine ausreichend dicke, gleichmäßige Eisdecke entstehen lassen. Der Wetterbericht hatte weiter Frost, bei geringem Wind, angesagt.
Am Samstag Vormittag laufe ich mit Langlaufski ca. 3 km weit zum Test in Ufernähe ohne Probleme über die noch nicht freigegebene Eisdecke. Die dünne Schneedecke ermöglicht ein müheloses Gleiten über die unberührte Eis - Schneefläche.
Am Abend schnalle ich einen PE-Canadier auf meinen Bootswagen, ziehe Faserpelz und Trockenanzug an, belade den Canadier mit reichlich Ausrüstung: Daunenschlafsack. Thermarestmatte, 3 m Tipi, Stativ, Mittelformatkamera, Eispickel, Felsnägel, Survivalkit, Daunenjacke etc. Gegen 9,00 Uhr mache ich mich auf zum nahegelegenen See. Dieser liegt kaum 1000 m vom Haus entfernt. Auf der verschneiten Promenade kommt mir nur ein einsamer Fußgänger entgegen, sonst ist es einsam, still und menschenleer. In der Waldböschung oberhalb der Promenade jammert schaurig, schön ein Kauz in der klirrenden Kälte. Was wird er wohl zum Aufwärmen heute Nacht erwischen. Ich denke an meine sechs Hühner, die vor einiger Zeit in einer einzigen Nacht bis auf wenige Spuren verschwunden sind. Den Bau des „Spitzbuben", der in einer einzigen Nacht mit seiner Großfamilie 6 Hühner frißt, vermute ich hier oben im Gehölz. Ich würde mich nicht wundern, wenn er mir jetzt auf der einsamen Promenade schwanzwedelnd entgegenkommen würde.
An einer flachen Uferböschung, wo der See schon sehr breit ist, schiebe ich den Canadier vorsichtig aufs Eis und entferne den Bootswagen. Vorsichtig schiebe ich den Canadier zur Seemitte, ziehen ist mir zu brenzlich. Wie vermutet, gleitet das PE-Material fast von alleine. Zunächst ist mir unheimlich und mulmig zumute. Immerhin laufe ich über eine eigentlich viel zu dünne Eisdecke unter der einige Meter kaltes, nasses und außerdem pechschwarzes Wasser lauert.
Bis zur Seemitte habe ich mich aber einigermaßen akklimatisiert und ich fange an die ganze Aktion zu genießen. Jetzt muß ich beim Zeltaufbau den schützenden Canadier verlassen. Vorsichtshalber springe ich noch einmal feste aufs Eis, den Canadiersüllrand in einer Hand haltend, das Eis hält. Mein Zelt, ein 3 m hohes orangerotes Indianeraußenzelt ist natürlich das blödeste Zelt für diese Aktion, aber auffallend. Zum verankern im Eis habe ich mir Felsnägel mitgenommen. Diese landen mit den Spitzen beim Einschlagen alle auf der Unterseite des Eises, also im Wasser. Dadurch halten sie noch schlechter. Vorsichtshalber halte ich den Canadier beim Zeltaufbau im Auge, die Rumklopperei auf dem Eis könnte es ja bersten lassen. Mit ein oder zwei Satz wäre ich dann im Canadier, sofern die Absprungstelle nicht auch nachgibt. Bei Windstärke, oder besser Hauchstärke, 1 bis 2 steht das Zelt in wenigen Minuten und wird auch noch am Morgen stehen.
Den Canadier schiebe ich zur Hälfte ins Zelt, streife die wasserdichte Pelle ab und mache es mir im Canadier auf der Matte bequem. Es ist unglaublich still, nur wenn ich mich umdrehe, knirscht es unterm Canadier. Jetzt kann das Eis von mir aus brechen, zum Vorwärtsziehen habe ich mir zur Vorsicht ja den Eispickel mitgenommen. Schnell bin ich eingeschlafen und träume von riesigen grönländischen Eiswüsten, Walrossen, Eisbären, ja und von den Geistern und Hilfsgeistern, habe ich mich doch erst vor kurzem eingehend mit den Aufzeichnungen von Knud Rasmussen beschäftigt.
Gegen 6,00 Uhr am anderen Morgen werde ich wie gewohnt vom fernen Hahnenschrei geweckt. Meiner kann es aber nicht sein, da ein Bergrücken dazwischen liegt, sonst ist es immer noch mäuschenstill. Nur der Zelteingang raschelt manchmal in Wind. Bis zum Hellwerden ist noch reichlich Zeit, also weiter ratzen, was soll man sonst machen. Das Frühstück auf dem Eis werde ich mir heute schenken.
Gegen 9,00 Uhr krieche ich langsam aus dem warmen Schlafsack und sofort wieder in die schützende Pelle ohne die Unterwäsche und den Faserpelz zu wechseln. Dadurch bin ich sofort wieder warm. Von dieser alten Pfadfinderregel habe ich noch nie was gehalten, die da sagt, sich bis auf die Haut bei 10° minus ausziehen, nach Möglichkeit sich noch mit dem eiskaltem Wasser waschen und dann frische, gutgelüftete und unterkühlte Klamotten anziehen. Da friert`s einem ja noch ein Jahr danach beim Schreiben dieser Zeilen.
Ich stelle die Kamera aufs Stativ und will einige Fotos zur Erinnerung machen. Leider geht mir die Kamera nach einer Selbstauslöseraufnahme kaputt, so daß nur zwei Fotos zustande kommen. Auch der Kamera ist es wohl zu kalt geworden.
Just in dem Moment als ich die Kamera verpackt habe, taucht am Ufer von dem ich kam, ein Polizeiwagen mit Blaulicht auf. Der Wagen stoppt und einer der Herrn Polizisten brüllt mit seinem Megaphon über den einsamen See: „Verlassen Sie sofort das Eis"! Und das nicht nur einmal, sondern gleich zweimal. Als ob man hexen könnte. Es war aber eindeutig und Ärger wollte ich nicht. Das Tippi sollte eigentlich für den Tag und die nächste Nacht stehenbleiben, um wieder als Herberge zu dienen. Das geht nun nicht mehr, leider und aufs Spiel möchte ich es auch nicht setzen. Die Ordnungshüter bringen es fertig und lassen dieses mit einer Großaktion der Feuerwehr vom Eis holen. Also lasse ich das Zelt schnell zusammenfallen. In wenigen Minuten ist es im Canadier verschwunden, und ich mache mich mit der entsprechenden Schadenfreude auf den Weg zum entgegengesetzten Ufer. Unsere Ordungshüter haben leider keinen Canadier dabei, für den Fall der Fälle und für mehr Courage reicht der Mut oder, ich will sie nicht schlecht machen, die Befugnis nicht.
Deshalb trauen Sie sich natürlich nicht, mir sofort aufs Eis zu folgen. Ich bin der Aufforderung als braver Bürger, das Eis unverzüglich zu verlassen, unverzüglich gefolgt. Zu welcher Seite wurde nicht befohlen.
Ich sehe noch wie sie in Ihr Auto springen, und so schnell wie es die verschneite Uferpromenade erlaubt, zur nächsten Brücke preschen. Leider ist es bis zur nächsten Brücke noch zwei Kilometer, d.h. zwei Kilometer hin und wieder auf der anderen Seite mindestens die gleiche Strecke zurück! Schnell ist der Canadier wieder auf den Bootswagen und ab nach Heisingen. Dort mache ich mich mit Hilfe grönländischer und einheimischer Geister und Hilfsgeister mitsamt dem Canadier unsichtbar, nicht bevor ich einige 100 m Bootswagenspur ausgelöscht hatte. Dem Polarforscher Knut Rasmussen meinen aufrichtigen Dank, das Studium seiner Aufzeichnungen hat sich gelohnt. Nun wartete ich auf die Dinge, die da wohl kommen sollten. Es ist ein tolles aber auch unbeschreibliches Gefühl, wenn man ungesehen zusieht, wie zwei grüne Spürnasen Ihre Nase in jede Ecke stecken und jeden Passanten ausfragen nach dem verschwundenen Paddler. Der kann doch nicht mit samt dem ganzen Krempel einfach verschwunden sein? Da sie sich nicht weiter blamieren wollen, machen sie sich dann doch bald aus dem Staub. Ich glaube nicht, daß der Einsatz im Tagesbericht gekommen ist.
Zu der Zeit als ich mich anschickte, den warmen Schlafsack zu verlassen, begab sich eine Bekannte, die am See wohnt, zur Toilette. Dabei mußte sie an einem Fenster, mit Blick über den See, vorbei. Sie entdeckte das Zelt und belästigte nach der Rückkehr ins warme Bett Ihren noch schlummernden Gatten, einem Morgenmuffel „Du, auf dem See steht ein rotes Zelt". „Ja, ja" knurrt er nur vor sich hin. Nach langen Ehejahren weiß eine erfahrene Ehefrau was das heißt. Sie bohrt verärgert weiter: „Du, da steht wirklich ein Zelt auf dem See". Wieder nur Grunzen. Aber auch bei dem Herrn der Schöpfung machen sich irgendwann am Morgen die ein, zwei Pilschen vom Abend bemerkbar. Also macht auch er sich auf zur Toilette. Natürlich nicht ohne aus dem Fenster gesehen zu haben. Obwohl es ein makelloser Morgen mit gleißender Sonne geworden ist, kann er kein Zelt ausmachen. Besorgt ruft er seine Frau zum Fenster. Sie bleibt bei Ihrer Behauptung: „Vorhin stand da ein rotes, spitzes Zelt". Er antwortet wieder nur mit „Ja, Ja, mein Liebes", was wieder nicht überzeugend klang. Das Verlassen des Sees hatte keine 5 Minuten gedauert.
Im Laufe des Vormittags half ich seinem Schwiegersohn beim Paneele nageln. Gegen Mittag besuchte der Schwiegervater uns, der auf dem Weg zum Müllcontainer war, um sich nach dem Vorwärtskommen unserer Arbeit zu erkundigen. Beiläufig stellte er dann die Frage, warum wohl die Polizei eine ganze Zeit ums Haus und in der Gegend herumgeschnüffelt ist. Wir erzählten ihm die Geschichte mit großer Ausgelassenheit und er uns kleinlaut die Geschichte mit seiner Frau.
Er verabschiedete sich von uns mit den Worten: „Oh scheiße, jetzt muß ich gehen und kleine Brötchen backen."