Es ist wieder Wochenende. Am vergangenen Wochenende ist die Story mit der Ehekriese entstanden. Jetzt eine Woche späterhat leichtes Tauwetter eingesetzt und die klirrende Kälte abgelöst, allerdings nur mit wenigen Grad über Null und einerzarten Luftbewegung. Es riecht nach Frühling, der Baldeneysee liegt immer noch unter einer geschlossenen Eisdecke und nur die dünne Schneeauflage ist verschwunden. An unserem Boothaus in Kupferdreh ist der See bis auf wenige treibende
Eisschollen eisfrei. Einer Bootsfahrt mit meinem Kanadier steht also nichts im Wege, allerdings nur bis zur Eiskante kurz hinter der Fußgängerbrücke die Kupferdreh mit Heisingen verbindet.
Ruhraufwärts wäre die Tour kein Problem, ich aber will ruhrabwärts auf dem Baldeneysee aufs Eis.
Ausgerüstet habe ich mich mit Trockenanzug und reichlich Fleece- Unterwäsche und Schwimmweste. Außerdem habe ich mir meinen Eispickel mitgenommen um mich im Kanadier sitzend auf dem Eis fortbewegen zu können, falls das Eis nicht trägt. Die Fotokamera, wasserdicht verpackt und ein Stativ fehlen ebenfalls nicht.
Mit einem gehörigen Anlauf fahre ich aufs Eis. Da der Kanadier nur zwei Sitze hat, ist er vorne sehr leicht und schiebt sich weit aufs Eis. Ich kann ohne Probleme über den Bug aussteigen. Die Eisdecke ist hier ca. 15 cm dick. Sie macht einen vertrauenswürdigen Eindruck. So klemme ich mich vor den Kanadier und setze mich in Richtung Staumauer in Bewegung. Ich bin allein und genieße mein Ausgesetztsein auf der Eisfläche, auf den Uferwegen sind nur wenige Spaziergänger zu sehen. Kein vernünftiger Mensch würde es heute wagen den See zu betreten, schon gar nicht in der Mitte des Sees. Weiter zur Seemitte ist das Eis mit breiten Spalten durchzogen, es kracht und knirscht hin und wieder, es kommen ständig neue Spalten dazu. Verstohlen sehe ich mich ab und zu nach meinem Lebensretter dem Kanadier um. Ich schieße einige Fotos, vor allem möchte ich meinem Freund vom Seehof zeigen wie seine Behausung, im Winter bei zugefrorenem See, von der Seemitte aussieht. Ich laufe noch weit bis hinter Haus Scheppen, dann setzt Nieselregen ein und es ist Zeit für mich den Rückweg anzutreten.
Ich laufe jetzt etwas weiter in der Außenkurve auf der Südseite des Sees. Die Fußgängerbrücke ist schon wieder in Sicht, da stelle ich mit Entsetzen fest dass das Eis vor mir bis zu 50 m wie ein Tuch schwingt. Das Wasser gurgelt aus Spalten und Löchern. Scheiße! Ich bin zu weit in die Ruhrströmung geraten, die etwas wärmeres Wasser mit sich führt. Auf dem Hinweg bin ich viel weiter zum Nordufer aufs Eis gegangen. Ich drehe mich um, greife den Kanadier am Bug und versuche ihn wieder zurück
auf festeres Eis zu schieben. Zu spät! Das Eis gibt unter meinen Füßen nach und ich sacke im Zeitlupentempo neben dem Kanadier ins Wasser. Die Hände habe ich immer noch am Kanadier, dadurch taucht der ungeschützte Kopf nicht in das eiskalte Wasser. „Mein Gott ist die Bordwand hoch“, ein Versuch in den Kanadier einzusteigen schlägt sofort fehl. Von der Seite her kippt der blöde Kahn sofort um und von hinten übers Heck sackt er hinten ab und zeigt mit dem Bug steil in den Himmel.
Beim Schwimmen schmerzen meine Hände, zu meinem Glück kann ich meine Neoprenhandschuhe im Boot erreichen und anziehen. So kann ich es eine Zeit lang in meiner Situation aushalten. Ich befinde mich ca. 100 m vom Ufer entfernt als einige Fußgänger entsetzt stehen bleiben. Da Sie nicht wissen
können dass ich vorerst keine Hilfe brauche, benutzen sie hilfsbereit ihre Handys. Für eine Verständigung mit Ihnen bin ich noch zu weit von ihnen entfernt. Nun ist Eile geboten, damit ich am Ufer bin bevor die große Rettungs-Katrastophe über mich hereinbricht. Ich schiebe schwimmend den Kanadier aufs Eis in Richtung Ufer und schlage mir mit der Faust das dünne Eis für eine Schwimmrinne frei. So kann ich mich ca. 50 m zum rettenden Ufer, im wahrsten Sinne, durchschlagen. Ab hier wird
das Eis wieder dicker und lässt sich nur noch mit großer Wucht zerschlagen. Das ist meine Chance, ich stütz mich auf dem Kanadiersüllrand und der Eiskante vorsichtig hoch und lasse mich in den Kanadier fallen. Gerettet! Die wenigen Meter bis zum Ufer habe ich mit dem Eispickel schnell überwunden. In der Zwischenzeit kommt über die Uferstraße der Rettungswagen angesaust und kurz darauf erscheint der Rettungshubschrauber über der Fußgängerbrücke. Der dreht allerdings sofort wieder ab, da ich mich mittlerweile selbst zum Ufer gerettet hatte.
Ich stell mich bei den „Rettern“ vor und entschuldige mich für Ihren vergeblichen Einsatz. Ich erkläre ihnen auch, dass ich nicht absichtlich eingebrochen bin, mich aber wie sie sehen, für den Ernstfall entsprechend ausgerüstet habe. Der Vorfall reichte für eine kurze Zeitungsnotiz: „Gestern ist ein Sportgeschäftinhaber aus Kupferdreh, ausgerüstet wie ein Polarforscher, im Eis des Baldeneysees eingebrochen. Bevor die Feuerwehr einschreiten konnte, hatte er sich schon selbst zum Ufer gerettet.“ Ich habe dann den Kanadier auf dem Eis entlang des Ufers bis zum offenen Wasser gezogen und bin den Rest des Weges zum Verein zurück gepaddelt. Obwohl meine Hände nur ganz
kurz ungeschützt im eiskalten Wasser waren, kribbeln die Fingerspitzen noch als ich schon wieder Zuhause bin. Hätte ich mich blitzschnell in den Kanadier fallen gelassen, als ich das zu dünne Eis bemerkte, wäre diese Story nicht aufs Papier gekommen. Dafür fehlt mir aber ganz einfach die Routine.
Der See friert nun mal nicht oft genug zu und für die Arktis fehlen leider das Geld und vor allem die Zeit.