Wir schreiben das Jahr 1958: Die Geschichte ist also genau 50 Jahre alt.
Für mich eine sorglose Zeit ohne Bilanzen, Gewinn- und Verlustrechnungen, ohne Mehrwertsteuer, ohne Finanzamt, ohne Behörde, ja aber auch ohne lästige Kunden. Ich bin den Rhein von Zuhause runtergepaddelt und habe die ersten Seeerfahrungen auf dem Isselmeer gesammelt. Nach dem Durchschlupf durch den riesigen Staudamm des Isselmeeres habe ich mich dann entlang der Holländischen und Deutschen Küste bis Wangerooge durchgeschlagen. Auf Wangerooge habe ich eine wunderschöne spätsommerliche Woche verbracht. Mein kleines sandfarbenes Hauszelt stand unbehelligt an einem Bunkerrest im Westen der Insel. 13 Jahre nach Kriegsende gab´s auf den West- und Ostfriesischen Inseln davon reichlich und besonders viele auf Wangerooge. Auf Grund der exponierten Lage, wenige Flugkilometer vom Kriegshafen Wilhelmshaven entfernt, war Wangerooge besonders zubetoniert worden. Im Krieg war die Insel eine einzige Flugabwehrfestung. Die Unmengen kreisrunden Kraterseen sind Zeugnisse davon, dass die Alliierten zum Kriegsende die Schnauze voll hatten und Wangerooge in einer Nacht dem Erdboden gleich machten. Aber das wollte ich eigentlich nicht erzählen. Für mich ist Wangerooge auch etwas besonderes, von hieraus geht es wieder heimwärts, daher noch einmal der genussreiche Aufenthalt. Ich wusste bis dato noch gar nicht wie angenehm ein Tag im Strandkorb sein kann.
Der Wetterumschwung hat sich schon zwei Tage vorher angekündigt: Die wunderschönen, harmonischen Sonnenuntergänge wurden flammend, nichts Gutes verheißend. Schon in der Nacht fing es aus Nord an zu blasen und am Morgen zu stürmen. Die Ausläufer der Brandungswellen kommen verdächtig nahe ans Zelt. Zum Abbrechen habe ich keine Lust. Ich schaufle mit dem Paddel auf der Seeseite einen Damm und stelle mich mit der Kamera bereit um meinen Lieben zu zeigen, wie nahe ich am Wasser ausgeharrt habe. Es ist genau Hochwasserzeit, da schwappt ein kräftiger Wellenausläufer über den Damm und das Zelt steht im Handumdrehen in einer Salzwasserpfütze. So schnell hatte ich bis dahin noch kein Zelt abgebaut. Zum Glück ist nur wenig Wasser reingelaufen. Mir reicht es auf jeden Fall. Also Packen und nichts wie weg. Am Nachmittag soll der Wind einschlafen und das mir zur Verfügung stehende Geld wird auch nach 2 ½ Monaten immer knapper. Man liegt ja nun mal nicht nur im Strandkorb.
Ich ächze mein Hab und Gut mit meinem selbstgebauten, mit zwei 200 x 1,5 cm Reifen bestückten Heckbootswagen hinter die Spiekeroogmole, wo das Wasser jetzt zwei Stunden nach Hochwasser schon ruhig ist und fahre im Windschatten hinter der Insel nach Minsener Oog. Auf der Südspitze, die noch mit einer Lorenschiene bestückt ist, lande ich an und schau mir das Chaos in der Jade in Ruhe an und überlege die Vorgehensweise. Noch läuft der Ebbstrom etwas gegen die anrollenden Wellen und lassen diese unnötig steil werden. Doch in ca. einer Stunde haben wir den Tiefstand erreicht, dann werden die Wellen auch etwas manierlicher werden. Ich bin Ebbe und Flut ausgeliefert. Hochwasser war um 12 Uhr Mittag, das nächste Hochwasser 12 Uhr Mitternacht, da kann ich dann überall anlanden, vorher habe ich aber überall nur Matsch, was man hier Schlick nennt. Der Wind hat sich bis auf 2-3 Beaufort gelegt. Ich entscheide mich fürs Weiterfahren. Zu verlockend ist der Schiebewind und die Schiebeströmung. Nach einem leckeren Imbiss im Windschatten des Dammes verstau ich meine Siebensachen etwas sorgfältiger als gewöhnlich. Letztendlich war ich mir schon bewusst, dass das was ich mir vorgenommen habe, kein Sonntag- Nachmittag Ausflug werden wird.Ich fahre also nach dem Kentern des Stromes in die Jade und nehme Kurs Süd in Richtung Festland. Ich halte mich einige Hundert Meter vom gut sichtbaren Watt zwischen Festland und Minsener Oog. Die Schaukelei ist zwar beachtlich, bereitet mir aber keine Probleme.Etwa auf der Hälfte der Strecke bis zum Festland, höre ich hinter mir plötzlich ein eigenartiges Rauschen. Als ich mich umdrehe, steht eine ca. 2 m hohe Wasserwand mit der entsprechenden Schaumkrone hinter mir. Nichts wie weg, das Blödeste was ich tun konnte. Den voll geladenen T6 von Klepper so zu beschleunigen, dass mich die brechende Welle nicht erwischt, ist unmöglich. In wenigen Sekunden hebt sich das Heck und ich mache Dank meiner irrsinnigen Anstrengung den Surf meines Lebens. Leider aber auch eine meiner spektakulärsten Kenterungen: Der Kahn bricht zur Seite aus und die Welle bricht über Mann und Boot zusammen. Es wird kalt, dunkel, salzig und es rauscht in den Ohren, dann Ruhe. Mein erster klarer Gedanke war, jetzt hast du eine saubere Kenterung hingezaubert. Ich bin nichtsahnend über eine Untiefe gepaddelt, die beim Ausbaggern der Jade vergessen wurde. Dahinter ist die See merklich ruhiger. Ich fang mein Paddel und komme ohne große Probleme auf Anhieb übers Heck wieder ins Boot und fahre zum wenige hundert Meter entfernten Watt. Das Faltboot ist so voll wasserdicht verpackter Ausrüstung, dass es sich noch recht gut mit dem Wasser beherrschen lässt. Aufgrund meiner Vorsorge ist nichts verloren gegangen, nur der Kompass hat ein paar Tropfen Wasser geschluckt.
Schnell ist das Wasser mit Dose und Schwamm gelenzt, dann geht es weiter. Auf Höhe Schillighörn ist es fast dunkel, doch die Augen gewöhnen sich schnell daran. Ich orientiere mich an den Leuchttonnen. Draußen im Fahrwasser fährt nur hin und wieder ein Schiff rein und raus. Ich habe nur Sorgen, dass mal ein Boot die Jade kreuzt und sich dann von der Seite nähert. Irgendwann kommt die „Rüstinger“ im Lichterglanz und Musik von See auf. Sollte der Pott von Helgoland kommen, dann sind die Passagiere jetzt froh, dass die Schaukelei ein Ende hat und werden mit flotter Musik wieder fit gemacht. Die Musik ist in der Entfernung nur ganz schwach zu hören. Wenn die wüssten, dass sich hier Draußen in der Dunkelheit ein einsamer Faltbootfahrer abmüht. Langsam kommen die Lichter von Wilhelmshaven mit seinen Industrieanlagen in Sicht. Dann habe ich die Hafeneinfahrt vor mir. Auf der Hafenmole hantiert ein Arbeiter. Er sagt mir, wo ich am besten anlanden und ungestört Zelten kann. Der gepflegte Rasen ist schnell gefunden und liegt nur knapp einen Meter über dem jetzt höchsten Wasserstand. Es ist genau 12.00 Uhr. Schnell ist das Zelt aufgebaut und der Schlafsack ausgerollt. Doch bevor ich mich darin verkrieche, muss ich erst mal den unangenehmen Druck in der Magengegend beseitigen. Also ich musste mich übergeben. (Ich hatte den mehr gebräuchlichen Ausdruck verwendet, doch ist dieser der Zensur zum Opfer gefallen). Bin ich seekrank geworden, habe zu viel Salzwasser in der Gischt geschluckt oder gar einen Krebs verschluckt, oder war es die Anspannung in der Dunkelheit auf der Jade? Es wird wohl alles zusammen dazu geführt haben, dass ich restlos fertig war.
Am anderen Morgen werde ich von ununterbrochenem Tuten in allen Tonlagen geweckt. Es ist nebelig, man kann keine 20 m weit sehen. Gut so, dann fällt das kleine Zelt noch weniger auf. Es war sowieso ein Ruhetag geplant. Nach einem ausgiebigen Frühstück geht es mir wieder blendend und ich mach mich auf zur Stadtbesichtigung.
Das Geschilderte war im übrigen möglich, ohne den ganzen Krempel, der im vorliegenden Katalog angeboten wird. Das kleine Klepperzelt wog so viel wie heute eine Zeltvilla mit Stehhöhe und geschlafen wurde auf einer Wolldecke, die Omi dem „armen Jungen“ mit auf die Reise gegeben hatte. Über das ein und andere habe ich zwar damals schon nachgedacht, die Zeit war aber noch lange nicht so weit.