Wir schreiben das Jahr 1966, ich befinde mich auf einer halbjährigen Faltbootreise von Duisburg nach Nordschottland. Den englischen Kanal und den Bristol Kanal habe ich bei der Gelegenheit geknackt. Bei dem Versuch, auf eigenem Kiel die gut 80 km von Wales nach Irland zurückzulegen, habe ich jämmerlich versagt und bin dann, nach dem langen Seestreik mit einer der ersten Fähren rübergefahren.
Was soll ich mich groß mit der Schreiberei quälen, das können die Zeitungsmacher doch besser. Schreiben wir das Interview der Dubliner Abendzeitung ab, ist zwar in englisch, aber das können wir doch alle mittlerweile als Europäer einigermaßen, oder?
Original Bericht der Irischen Zeitung “Evening Press” von Samstag, den 9. Juli 1966
Mystery canoeist has reappeared
The mystery of a bearded canoeist who set off from the mailboat Saint Andrew shortly after it berthed in Rosslare last Saturday morning has ended. After the man had paddled off alone in a northerly direction along the Wexford coast, a watch for him was being kept along the east coast.
No one at Rosslare Harbour knew the man’s name, his destination or anything about him, for after clearing the customs he immediately set off.
However the man has paid a visit to the Evening Press and told of his long journey to Dublin from his home in North western Germany, 850 miles of which he travelled by canoe.
He is 31 years old Heinz Zölzer, a bearded lift mechanic from Nikolausi, Essen. Looking fit and trim, the tall adventurer said that he left home on April 12 because he wanted to see Holland, Belgium, France, England, Ireland and Scotland and in so doing to improve his English.
Relaxed
He travelled 6.000 miles through the inland waterways of the continent to Ostend in a fortnight. He then went on to countered was in Gronichem in Holland where he was snowbound for a couple of days.
He put the sea at C. Gris Nez and, with favourable weather conditions, crossed the Channel to the Kentish coast in nine hours.
After this 25 miles trip he relaxed for some days seeing some of the lovely country in Sussex and finally reported to the Customs at Newhaven.
Became sick
He then travelled down to Weymouth and Exeter and paddled across the Bristol Channel to Swansea, a distance of 34 miles. He waited in Saint David’s Bay for suitable weather to cross the Saint George Channel. But when he finally set out the sea was still choppy and he became sick. As it was over 50 miles to Rosslare, he decided to board the mailboat at Fishguard. He disappeared again near Blackwater Haed, about ten miles north-
east of Rosslare lighthouse, heading northwards.
Came ashore
He went on by Cahore Point and after covering about 48 miles ”because I had a good wind in my back and fine weather,“ he came ashore and camped near Arklow.
Heinz reached Blackrock on Thursday and left his canoe in the local canoe clubhouse.
Heinz says he is slightly over half the way on his trip. He intends staying in Dublin for a few days, then heading north. He will cross to Scotland from the Anrtim coast, about 14 miles across the North Channel.
Drei Wochen hatte ich mich in Dublins dortigem Kanu- Club häuslich eingerichtet und eine Reihe von Freundschaften geschlossen. An den Wochenenden ging es dann zu verschiedenen Kanu-Veranstaltungen, unter anderem einem Langstrecken- Rennen auf dem Channon.
Vor allem zu den weiblichen Mitgliedern des Verein waren die Beziehungen besonders intensiv “Therese hieß das Mädchen (so ähnlich singt Freddy auf einer seiner Platten), zart rote Haare und dazu die passenden grünen lebhaften Augen, mit echtem Wikingerblut, was ständig Konflikte mit ihrer streng katholischen Erziehung brachte. Und dann die Figur mit allem dran, was ein junges Mädchen liebeswert macht. Auch im katholischen Dublin wissen sich die Mädchen zu kleiden, beziehungsweise zu entkleiden. Es war Hochsommer und da blieb unnötiges Zeug im Schrank. „Your kissing is wrong” liegt mir heute noch in den Ohren. Zunächst war ich etwas verdutzt, doch als sie immer mehr wrong wünschte, bin ich langsam und sicher hinter den eigentlichen Begriff “wrong” gekommen. Ab Sonntag mittags war sie immer besonders zutraulich, nachdem sie dem geilen Popen mit ihrer Beichte an unseren Verfehlungen hat teilhaben lassen und sich eine anständige Buße verpassen lassen hat. Ich war auf jeden Fall nicht besonders begeistert von derartiger Praxis.
Egal, wir haben schöne, verliebte Tage in und um Dublin verbracht. Die langsame Reisegeschwindigkeit mit dem Faltboot kann man gut mit Bus oder Zug ausgleichen. So haben wir unser “wrong” noch in Nordirland um ein wunderschönes Wochenende verlängert.
Nun aber zurück zum Thema, es soll ja keine Liebesgeschichte werden. Ich habe es nur erwähnt, weil die Story in Dublin doch beinahe zu Ende gewesen wäre und der North Channel würde heute eventuell noch auf seine erste Überfahrt im Faltboot oder Kajak warten. Außerdem waren die Dubliner Freunde an dem Titel der Storry nicht ganz unbeteiligt.
Am 22. August liegt das Boot, ein Klepper T6, gegen Mittag fertig gepackt am Strand von Cushendun, nördich Belfast. Ich war noch kurz im Ort einkaufen und habe mir die Post vom Postamt geholt. Es ist ein sonniger warmer Sommertag mit leichtem Wind und guten Wetterprognosen. Am Strand haben sich einige Menschen eingefunden, um die Abfahrt mitzuerleben und zu fotografieren.
Ich weiß nicht woher sie wissen, dass ich heute starte, vielleicht haben mich die Zeitungen an der Küste “weitergereicht”. Ob der Hopser zur schottischen Kintyre- Halbinsel schon mal im Faltboot gemacht wurde und dann noch allein, weiß ich nicht. Für Küstenhandbuch, Strömungsatlas und Spezialkarte ist bei meiner Reise kein Geld eingeplant und das Internet für billige Informationen noch nicht eingerichtet. Trotzdem weiß ich, dass durch den 20 km breiten und über 100 m tiefen Graben eine beachtliche Menge Wasser fließen muss. Außerdem ist er im Norden zum Atlantik hin offen. An den Kaps auf der Strecke von Dublin bis hierher hat es die letzten Tage immer ganz schön gegurgelt.
Ich starte ca. 3 Stunden vor Hochwasser und halte sofort Kurs auf die Kintyre Halbinselecke, dabei treibe ich, wie erwartet, weit nach Süden ab. Die Wellen sind nur mäßig, aber weiter draußen macht sich doch eine beachtlich Atlantikdünung bemerkbar. Nach ca. 3 Stunden kentert die Tide und der Strom setzt jetzt unverzüglich nach Norden in meine gewünschte Richtung. Er kommt nicht nur von Süden, sondern auch von Nordost aus der Gegend von Glasgow um die Südspitze der Halbinsel herum. Außer einem Fischerboot ist nichts an Booten unterwegs. Das Boot ändert etwas seinen Kurs und kommt näher. Sie haben ihre Gläser vor den Augen. Ein einsames Faltboot hier draußen ist nun mal nichts alltägliches. Ich grüße kurz, dann nehmen sie ihren alten Nordkurs Richtung Atlantik wieder auf.
Es muss ca. 1 Stunde später gewesen sein, der Leuchtturm auf der Halbinselecke ist schon sehr klar zu erkennen. Bis dahin sind es noch 2 bis 3 km, da höre ich ein verdächtiges Rauschen vor mir. Die Brandung der schottische Steilküste kann es noch nicht sein. Wenig später sehe ich für einen Moment auf einer besonders hohen Woge einen Brandungsgürtel vor mir. Höchster Alarm! Das kann doch nicht wahr sein, habe ich ein Riff auf der Karte übersehen? Ich reiße die Karte unter der Spritzdecke hervor: nichts, außer winzig kleine gebogene Strichelchen, die wohl Wellen anzeigen sollen. (Es war die Karte der ganzen Irischen See, da sind die eingezeichneten Wellen auch mit guten Augen kaum zu erkennen. Auf der Spezialkarte, die ich heute besitze sind auch die Strudel und die 6 kn Stromgeschwindigkeit angegeben). Jetzt kann ich schon auf jeder Woge einen riesig langen Brandungsstreifen erkennen und die Strömung treibt mich mit irrsinniger Geschwindigkeit darauf zu. Was nun?
Hinter der Halbinsel ausweichen geht nicht, da kommt ein Teil des ablaufenden Wassers her, also zurück zur Mitte des Kanals. Zu spät! Nach wenigen Minuten muss ich einsehen, dass ein Ausweichen unmöglich ist, also hinein in das Unvermeintliche und Adrenalin in allen Geweben. Irgendwann steht eine 3 m Wasserwand vor mir, die oben mit 1 m brechender Gischt winkt (im Tagebuch steht 4 m). Es geht wie im “Fahrstuhl” aufwärts und eine riesige Menge Wasser bricht über mir zusammen. Dann klatscht das Boot auf der anderen Seite aufs Wasser. Der Kopf ist noch oben. Scheiße, noch mal das gleiche, wieder steht eine 3 m Wasserwand vor mir, noch mal das gleiche Spielchen, Augen zu und durch, doch dieses Biest hätte mich beinahe erwischt. Ich muss mich mit einem kräftigen Schlag abfangen und ein halbes Reservepaddel retten, das aus der Halterung gerissen ist. Ein Lob den Klepperwerken, die zwar stabile Boote bauen können, aber keine dichten Spritzdecken.
Den Rest des Tages sitze ich wieder mit meinem Arsch im Wasser. Die Latten und Beschläge werden wohl etwas geknirscht haben, aber das Boot hat noch seine normale Form. Dahinter ist das Wasser stark verwirbelt mit riesigen Strudeln. Das Boot wird hin und her gerissen Es ist schwierig in dem Chaos Kurs zu halten. Mit Grauen denke ich an eine Schwimmeinlage und an die Horrorgeschichten von riesigen Malströmen, die ganze Boote in die Tiefe reißen.
Wie tief hätten mich die Strudel wohl in die Tiefe gezogen, wenn ich schwimmend vom Boot getrennt worden wäre, 10 m, 20 m, 30 m oder geben die Strudel ihre Opfer erst am Grund wieder frei, der 100 m unter mir liegt. Aber ich schwimme nicht, sondern sitze sicher im Boot und nähere mich mit kräftigen Paddelschlägen der schottischen Küste und dem weithin zu erkennenden Leuchtturm. “ Mull of Kityre
Da hantieren wieder einige Leute mit Ihren Ferngläsern. Wegen der hohen Brandung kann ich nicht anlanden. Ich hätte mir das Inferno gerne von oben angesehen und einige Fotos gemacht. Ich winke grinsenderweise mit einem Gesichtsausdruck der sagt: So paddeln die German nun mal. Ich hoffe, dass sie meinen jämmerlichen Fluchtversuch nicht schon verfolgt haben. Die günstige Strömung treibt mich noch an diesem Tag 25 km an der Halbinsel in Richtung Norden. Dann finde ich eine wunderschöne Bucht mit einer Bachmündung und üppiger Wiese daneben.
Nach so einem ereignisreichen Tag bei so herrlichem Sommerwetter ist ein Ruhetag mit “Wunden lecken” und Sachen trocknen angesagt. Die Hügel hinter meinem Zeltplatz reichen gut hundert Meter hinauf und bieten eine herrliche Sicht über die vor mir liegende Strecke. Es ist das Schottland, von dem ich geträumt hatte: Nackend in der Sonne liegen, fotografieren, angeln, lesen, schreiben, singen (hört ja keiner), aber auch reparieren. Einige Beschläge des Bootsgerüstes muss ich mit zwei passenden Steinen in die alte Form bringen.
Den nächsten Tag übersetze ich aus meinem Tagebuch, das im nicht ganz korrektem englisch geschrieben ist. Ich hab‘ selbst manchmal Probleme es zu verstehen.
Mittwoch, den 24. August
Ich bin noch nicht lange auf dem Wasser, da kommt mir ein Fischerboot mit 4 Männern entgegen. Beim Näherkommen erkenne ich zwei Polizisten. Sie kommen nicht zufällig vorbei, sondern haben mich gesucht. Ich soll mich ausweisen. Das hat so seine Schwierigkeiten, da der Pass im Heck des Bootes verstaut ist, ich hatte ihn doch auf der ganzen Reise nicht ein einziges mal gebraucht. Sie nehmen mich im Schlepp und ich steige nackend, wie ich nun mal war, in ihr Boot. Es geht ein gehöriges Stück entlang der Küste nach Norden zum nächsten Ort. In einer Bucht mit schönem Sandstrand steht ihr Landrover. Hier gibt es kein Problem, den Ausweis aus dem Boot zu kramen. Auf der langen Fahrt in ihrem Boot haben wir uns natürlich schon ausgiebig unterhalten. Das meiste hatte ich mit meinem holprigen Englisch zu erzählen. Im Nachhinein muss ich feststellen, dass sie ziemlich Mundfaul waren, außer Fragen kam nicht viel mehr aus ihnen heraus. Immerhin waren sie äußerst freundlich und haben sich dann für ihr Eingreifen entschuldigt und mir eine glückliche Weiterfahrt gewünscht. Auf meiner Weiterfahrt denke ich über den enormen Aufwand nach, den die Polizei für einen harmlosen Tourist gemacht hat. Sie müssen doch auch in der anderen Richtung gesucht haben. Hätte ich keinen Ruhetag eingelegt, so hätten sie mich bei der günstigen Strömung 40 – 50 km weiter nördlicher suchen müssen.
Die Erklärung für diesen Aufwand erhielt ich Wochen später, als ich wieder Zuhause war und einen Brief aus Dublin erhielt. Wenige Tage vor meiner Überfahrt wurde in London ein Bobby umgebracht und ich kam so in das Räderwerk von Scottland Yard. Man muss wissen, dass die Bobbys zu dieser Zeit unbewaffnet waren und Angriffe auf diese Elite das Schlimmste war, was ein Engländer anstellen konnte. Polizistenmord war äußerst selten und löste immer sofort eine riesige Fahndungswelle aus, die auch von der Bevölkerung unterstützt wurde. Auch zu den Verhältnissen in Dublin muss man wissen, dass die Iren die Engländer verständlicherweise nicht mögen, aber dessen Fernsehen. Selbst dem frömmsten Iren geht irgendwann mal das irische, pechschwarze Fernsehen auf den Geist. Jahrein und jahraus immer Halleluja wird einfach langweilig. So ist es nicht verwunderlich, dass alle Antennen entlang der Ostküste Irlands nach England ausgerichtet sind, (Satelliten und Kabel gab es noch nicht).
So haben meine Freunde in Dublin von meiner geglückten Überfahrt nach Scottland im englischen Fernsehen erfahren. Dort brachte man eine kurze Notiz, dass ein einsamer Paddler von einem Fischerboot im North Channel gesichtet wurde, der auf die schottischen Berge zufuhr und sich dann dort verkroch. Dieser Mann stand im Verdacht wenige Tage zuvor in London den Bobby umgebracht zu haben. Nach einer umfangreichen, aufwendigen Suchaktionen wurde er dann nach zwei Tagen gefunden. Allerdings nicht als Bobbykiller. Meine Bobbys hatten nicht ein Wort über den Grund der Suchaktion verloren, obwohl ich mich lobenderweise über ihre Umsicht und Sorge, die sie für mich aufgebracht hatten, ausgelassen hatte. Nicht nur meine beiden Polizisten waren im Einsatz. Die müssen in jeden Winkel der Halbinsel rumgeschnüffelt haben. Ohne meine Freunde in Dublin hätte ich von dem bobbykilling nichts erfahren.
Ich hatte übrigens noch einmal Kontakt zur Schottischen Polizei, als ich bei einem herrlichen satten Sechser Rückenwind, Nessy im Nacken, auf Inverness zuhielt. Loch Ness ist ein langer, tiefer Graben, da baut sich eine beachtliche Dünung auf, die sich sehen lassen kann, wenn der Wind durchs Tal fegt. Diesmal waren die Ordnungshüter wirklich nur besorgt um mein Leben. Dangerous hatte ich auf meiner Reise oft gehört, schon bevor ich in England landete. Ich beschwichtigte sie mit einem Scherz: Vor Nessy habe ich keine Angst, an das Märchen glaube ich nicht.
Sie verstanden sofort und brachen in ein schallendes Lachen aus.