Einige Erwachsene Jugendliche aus unserem Verein wollten einmal die große Welt kennen lernen, gemeint sind große Wasserflächen. Am liebsten wären die Wildesten gleich nach Helgoland gepaddelt. Wir haben uns auf die Tidenrallye konzentriert. Die Rallye findet zwar nicht auf dem großen Meer statt, doch zum Einpaddeln und für das große Abenteuer steht uns der Donnerstag und der freie Freitag zur Verfügung (Himmelfahrt)
Die drei „Wilden“ waren Sarah I und Christian, beide Übungsleiter, die in der Vereinsjugend tätig sind. Bei den Beiden gibt es keine Sorge wegen der Bootsbeherrschung. Unser Sorgenkind war Sarah II, sie ist nicht unbedingt die emsigste Paddlerin, daher musste sie uns erst einmal eine Rolle und einen nassen Wiedereinstieg vormachen. Ja, und dann war da noch der wilde Marathonfahrer Rudi aus Marl, dem keine Rallye lang genug sein kann.
Zeitig am Donnerstag Morgen machten wir uns auf die Reise nach Nordenham und bauten unser umfangreiches Camp auf. Wir wollen nach Möglichkeit noch auf das Wasser. Nach langen Diskussionen haben wir uns für das nächstliegende entschieden: Fedderwardersiel als Starthafen, den Siel zum Fedderwarder Fahrwasser in Richtung Mellum. Unser Nesthäkchen hat zu bestimmen wie weit sie fahren will, damit auch die Rückfahrt noch ohne Probleme geschafft wird. Vorsichtshalber stecken wir uns aber jeder einen „Bindfaden“ zum Schleppen ein.
Kurz nach Mittag verlassen wir den, von Vätern nebst Anhang, überfüllten Hafen bei leichter Briese und dünner Bewölkung. Für die, die es nicht wissen: Fronleichnam ist Vatertag! Nach kurzer Fahrt sehen wir einige Sportboote über den Hohen Weg in Richtung Jade fahren. Wir beschließen, auch diese Richtung einzuschlagen. Der dicke Wattsockel gibt uns eine gute Sicherheit. Statt zurückzupaddeln bietet sich die Jade nach Eckwarderhörn an. An der Buhne an Eckwarderhörn fließt der halbe Jadebusen täglich zweimal vorbei und somit setzt sich da wenig Schlick ab. Ich hoffe, dass wir da etwas weniger Matsche, äh, Schlick, haben werden als in dem verschlickten Hafen. Außerdem gibt es in der Badeanstalt eine wunderschöne Dusche.
Im Norden kommt die Mellum als schmaler Streifen in Sicht und im Nordwesten der Hooksielturm, das ist unser Kurs. Jetzt brauchen wir nicht mehr auf den Kompass zu schielen, jeder kann darauf zupaddeln. Ich hoffe bald festen Boden unter unsere Füße zu bekommen; leider vergebens. Wir sind wohl schon zu weit ins Jadewasser geraten. Die Tonnen in der Jade sind gut auszumachen. Ein bis zwei km vor dem Radarturm beschließen wir umzukehren, also drehen wir auf Süd. Am Rand des Watts, bei noch leicht abfließendem Wasser, kommen wir trotzdem gut voran. Kurz vor der Kaiserbalje können wir endlich unsere Beine vertreten und eine Kleinigkeit essen. Meine Küken machen den Vorschlag, nach Fedderwardersiel zurückzufahren. Denen ist das Theater mit dem Taxi für die Fahrt von Eckwarderhörn nach Fedderwardersiel zu kompliziert und zu teuer. Mein Einwand, mit dem Schlick im leergelaufenen Hafenbecken und die Schlickbarriere vor dem Fedderwarder Priel, schlagen sie in den Wind, wie man so sagt. Ich gebe nach, irgendwie werden wir schon wieder festen Boden unter die Füße bekommen, Schlick ist nun mal kein besonders fester Boden.
Im Westen reißt die Wolkendecke auf, so dass uns die Sonne einen wunderschönen Abend und Sonnenuntergang bescheren kann. Auch die leichte Brise ist jetzt fast ganz eingeschlafen. Die Kaiserbalje flößt uns mit Ihrer breiten Fahrrinne Mut ein. Die reicht weit von der Jade in den Hohen Weg hinein bis auf wenige km an den Fedderwarder Priel heran und ca. zwei km an das Vorland Langwarder Groden. Langsam wird der Priel schmaler und jeder fängt an sich die richtige Fahrrinne zu suchen. Das Wasser läuft hier am Ende des Priels immer noch langsam ab. Irgendwann stecken wir aber endgültig fest und wir müssen treideln. Vor uns liegt ein holländischer Segler fest auf dem Schlick, entweder hat ihn das gleiche Schicksal erwischt, welches uns noch bevorsteht oder er hat sich absichtlich trocken fallen lassen. Auf dem Boot ist es mäuschenstill. Entweder sind die Segler mit einem Beiboot im letzten Moment, der noch vorhandenen Flut, in den Hafen gefahren oder die schlafen den Schlaf der Gerechten. Wir kämpfen uns durch den leicht überfluteten Schlick im Priel weiter. Mit dem letzten Licht können wir immer wieder eine Rinne mit etwas Wasser zum Ziehen der Boote ausmachen. Irgendwann ist aber auch das letzte Wasser abgeflossen. Wir geben den Kampf auf, nachdem Christian noch mit einem Kraftakt versuchte, die 2 km zum rettenden Ufer durch knietiefen Schlick mit dem letzten Licht zu erreichen.
Wir steigen in unsere Boote, so sauber wie nur irgend möglich und richten uns auf eine lange Wartezeit ein. Langsam verschwindet auch das letzte Sonnenlicht und die Lichter der Tonnen, des Hafens und die in der Weser fahrenden Schiffe sind bei der klaren Luft gut zu erkennen. Da sich die Augen gut an die Dunkelheit gewöhnt haben, können wir endlich am Schlickrand das langsame Steigen des Wassers beobachten, aber vor uns haben wir noch eine 2 m hohe Böschung., Da trösten auch nicht die blöden Pricken drüber hinweg. Irgendwann ist es so dunkel, dass wir uns nur noch schemenhaft gegenseitig sehen. Wie es jetzt meiner Mannschaft zu Mute ist kann ich nur erahnen, auf jeden Fall ist sie nicht besonders gesprächig. Die Anspannung und etwas gedämpfte Stimmung wird besser, als aus meinem Boot zwei Stirnlampen zum Vorschein kommen. Unserem Nesthäkchen mit dem dicksten Fell kann ich mit meinem Sonntags Fleece über das Frösteln hinweghelfen. Wir können unseren Gedanken freien Lauf lassen. Wir haben aber auch die Gelegenheit, das Steigen des Wassers zu beobachten. Erst ganz zaghaft füllt sich eine winzige Rinne an der Prielkante, dann eine größere und die Steiggeschwindigkeit nimmt ständig weiter zu, um dann in kürzester Zeit unsere Boote auf die entsprechende Höhe zu bringen. Na ja, irgendwann hat auch das längste Warten ein Ende. Als wir endlich weiter fahren, hat das Wasser nicht nur den Priel gefüllt, sondern auch den Wattrücken, so dass wir direkten Kurs auf den Fedderwarder Priel nehmen können. 5 Kopflampen wären besser gewesen, aber es geht auch so ganz gut. Unser Nesthäkchen nimmt Sarah I an den Haken, die zwei ohne Licht folgen Sarah mit der Stirnlampe und ich passe als Schlusslicht auf, dass keiner verloren geht. Außer den künstlichen Lichtern ist die Nacht pechschwarz. Eine Anweisung, dicht zusammen zu fahren kann ich mir sparen, das ergibt sich von selbst. Im Fedderwarder Priel haben wir wieder Strömung und erreichen bald den hell erleuchteten Hafen. Unsere Startrampe im hinteren Hafenbecken hat noch nicht ganz die Höhe erreicht, die wir beim Start hatten. Wir waren knapp 11 Stunden unterwegs, das Beste was man in Tidengewässern machen kann: 6 Stunden raus, 6 Stunden rein, da gibt es keine Probleme mit der üblichen Sauerei mit leergelaufenen Hafenbecken oder Küsten.
Noch eine Regel: Learning by doing. In welchem Seekajak-Ausbildungsplan ist schon stundenlanges Trockenfallen in stockdunkler Nacht draußen im Watt vorgesehen? Bei entsprechend schlechten Wetterbedingungen wäre die Story eventuell etwas länger geworden oder erst gar nicht auf´s Papier gekommen.
Den freien Freitag nutzen wir dann um uns wieder zu erholen für die große Rallye. Da ich die Rallye schon oft gefahren bin, darf ich dieses Mal das Auto fahren. Schnell habe ich nach dem Start meinen „Bauchladen“ verpackt und mich auf zum Silberziel gemacht. Glücklicherweise habe ich auch gleich ohne Verfahrerei den Verein gefunden. Bis zum Eintreffen meiner Mannschaft ist reichlich Zeit, mich über die vorbereiteten Herrlichkeiten ausgiebig herzumachen.
Als erstes muss mal die Kuchentheke herhalten. Ja diese Kuchentheken haben es so in sich. Was tun bei so einer Auswahl, man will ja auf jeden Fall die leckersten Stücke essen. Sofern man einen halbwegs normalen Geschmack hat, gibt es da eine einfache Regel: Den Kuchen wählen, den auch schon die Vorgänger reichlich gewählt haben. Weiter bleibt man nach Möglichkeit bei Obstkuchen, wenn auch die Buttercreme-Torten oder der Schwarzwälder Kirschkuchen noch so verlockend aussehen. Dann kann man erfahrungsgemäss mehr Stücke verputzen. Kommt dann aber nach dem fünften Stück so ein Trottel und schwärmt von einem Kuchen, den man noch nicht probiert hat, kann man sich den nur für die Heimreise einpacken lassen, oder man grübelt noch stundenlang über dieses eine Stück nach, ob man da eventuell etwas besonderes verpasst hat. Zum Kuchen gibts natürlich einen ordentlichen frischen Kaffee, und nicht zu vergessen die Sonne, die beim Schlemmen zusieht. Ja und dann war das Gegrillte fertig: Ein Grillwürstchen und der leckere Kartoffelsalat, jetzt mit einem frischen schäumenden Bierchen als „Nachtisch“, muss auch noch reinpassen.
Gut, dass sich meine Truppe Zeit gelassen hat. Die Tide ist schon längst zur Ruhe gekommen und im Begriff die Richtung zu wechseln, da trudeln sie endlich ein. Schnell sind die Boote verladen und die nassen Klamotten gewechselt. Für die Abgekämpften reicht die Zeit aber nicht mehr für ein ausgiebiges Fressgelage. Sie müssen ihre Stärkung in Eile einnehmen; Rudi, der wilde Paddler, wartet in Tura auf seine Abholung. Ja, der arme Rudi hatte wirklich in Tura am Goldziel lange frierend auf uns gewartet, er war ja wieder einer der Ersten. Das gehört nun mal zum guten Ton einer Rennsau. Und wenn man Rennen fährt, packt man sich nicht den Kahn voll Umziehklamotten, geschweige ein Aufwärmfläschchen. Na ja, bis Nordenham hatten wir Ihn mit der Fahrzeugheizung wieder aufgewärmt und seine etwas in Schieflage geratene Laune war auch wieder in Ordnung gekommen.